Über die Schulter schauen mit dem Vis-Talk

Zwei Personen sitzen an einem Tisch und besprechen ein Thema aus dem Unterricht. Dabei wird der Tisch zu Bühne, denn der Visualizer nimmt die Tischfläche und das Gespräch auf. Filmemacher, Sekundarlehrer und Medientechniker Iuri Rigo erklärt im Interview, wie diese einfache didaktische Methode funktioniert, was den Vis-Talk von einer «normalen» Präsentation unterscheidet und zeigt, wie vielseitig sie sich einsetzen lässt.

Vis-Talk als Bühne: mit Hauptbühne, Nebenbühnen und «hors cadres». (Bild: Iuri Rigo)

Was ist ein Vis-Talk?

Ein Vis-Talk ist eine didaktische Methode. Zwei Personen sitzen an einem Tisch. Eine Person spricht zur anderen über ein Thema und das Ganze wird vom Visualizer aufgenommen. Daher Vis-Talk, ein Gespräch unter dem Visualizer. Aber ich mache einen Perspektivenwechsel, habe nicht die Sicht des Zuhörers, sondern die Sicht des Präsentierenden und wandere sozusagen in seinen Kopf.

Dialog statt Präsentation

Wo siehst du die Vorteile der Methode?

Die Form gibt uns die Möglichkeit, dass es zu einem Dialog kommt, statt zu einer Präsentation. Eine Stärke der Methode ist sicher auch, dass sie so flexibel ist. Man kann nicht nur fachliche, sondern auch soziale Kompetenzen entwickeln.

Durch das Aufzeichnen können wir den Vis-Talk später erneut anschauen, auch die Personen, die ihn geführt haben. Und wir können die Präsentation weiter verwenden, zum Beispiel als Lernhilfe für andere Schüler:innen oder als Auslöser für eine Diskussion. Und: Der Vis-Talk beruht auf Technik, die in fast jedem Basler Schulzimmer vorhanden ist: dem Visualizer.

Der Vis-Talk beruht auf Technik, die in fast jedem Basler Schulzimmer vorhanden ist: dem Visualizer.

Iuri Rigo

Sind die Rollen fix vorgegeben oder ist ein Vis-Talk ein offenes Gespräch?

Es ist ein Eins-zu-eins-Gespräch, aber es gibt jemanden, der erzählt und jemanden, der fragt. Der Vis-Talker, die Vis-Talkerin hat die Hauptrolle, das Gegenüber soll möglichst aktiv zuhören. Dadurch dass man nickt, nachfragt, führt man den Vis-Talker dazu, dass er mehr erzählt, weiter aus der Zone herauskommt, in der er sich sicher fühlt. Da können auch provokative Fragen helfen wie: «Was ist das, was du am wenigsten gut weisst über das Thema? Wo sind deine Lücken?». Es hängt aber auch davon ab, wie der oder die Vis-Talkerin tickt. Wenn jemand unglaublich gut vorbereitet ist, können Fragen auch behindern. Dann liegt es am Zuhörer, den Moment zu finden, wann er nicken, schweigen und ausreden lassen muss.

Der Visualizer kann viel mehr als nur projizieren

Der Visualizer kann offenbar viel mehr als sein Vorgänger, der Hellraumprojektor?

Ja. Toll ist einerseits, dass man Farben, Bilder, Fotos oder 3D-Objekte einfach projizieren kann. Wenn man den Visualizer gut anschaut, dann sieht man, dass da «MIC» für Mikrofon draufsteht und bei vielen auch «4K», die Abkürzung für hochauflösende Videoaufnahmen. Und auf vielen Fernbedienungen hat es auch noch einen Aufnahmeknopf. In den meisten Schulzimmern haben wir also eine vollprofessionelle Kamera, die hochauflösende 4k-Aufnahmen mit Ton machen und wieder abspielen kann. Und man kann das Gerät direkt an ein edubs-Book anschliessen – dann funktioniert es wie eine auf den Tisch gerichtete Webcam.

Der Visualizer ist aber nur eine Idee, das wichtige ist die Kamera-Perspektive des Über-die-Schulter-Schauens. Man könnte das auch mit Tablets oder Handys machen. Schüler:innen haben viele kreative Ideen, wie man das umsetzen könnte, damit es eine Aufsicht gibt und man Tisch, Hände, Notizen, Zeichnungen etc. sieht.

Die Visualizer verfügen über ein eingebautes Mikrofon. (Bild: Stephanie Lori)

Was muss man beim Aufbau beachten?

Vom Vis-Talker bis zum Gegenüber sollte der ganze Tisch sichtbar sein, deshalb muss man den Visualizer eventuell erhöhen. Da Tische selten im 16:9-Format sind, haben wir zudem links und rechts noch Fläche auf dem Tisch, die nicht im Vis-Talk erscheinen, sogenannte «hors cadres». Die sind toll, da kann ich meine Notizen hinlegen oder Dinge, die ich in den Vis-Talk führen möchte.

Die Hände sind auch ganz wichtig und sollten auf jeden Fall im Bild sein, sie sind Pointer, arrangieren, zeigen Zusammenhänge. Ich kann jederzeit live etwas dazuschreiben oder zeichnen. Und ich kann auch dreidimensionale Objekte verwenden.

Ausserdem würde ich unbedingt einen zeitlichen Rahmen setzen. Im Youtube-Zeitalter reden wir von knapp zwei Minuten, das ist eine hohe Kunst. Der Vis-Talk verlangt von uns, zu verdichten. Deswegen würde ich zwei bis fünf Minuten als Rahmen angeben.

«Delete and repeat» als Chance

Wie unterscheidet sich der Vis-Talk von anderen Präsentationsmethoden?

Im Gegensatz zu einem Podcast, der nur über einen Ton läuft, ist der Vis-Talk multimedial und audiovisuell. Und anders als bei einer PowerPoint-Präsentation hat man nicht nur ein A4-Blatt, sondern eine Bühne, auf der man live arbeiten und auch dreidimensionale Objekte zeigen kann. Der Vis-Talk greif die Situation des Zwiegesprächs auf, das machen wir alle seit unserer Kindheit und haben damit viel Übung. Ein Vis-Talk kann sehr verspielt sein und man kann mit seinen Stärken auftrumpfen – sei es, dass man gut zeichnen kann oder Zusammenhänge erklären, spontan agieren oder minutiös vorbereiten. Mit Vis-Talk kann man auch Schüler:innen abholen, die bei der Schriftlichkeit Hemmungen oder Schwierigkeiten haben, ein Vis-Talk ist eine Alternative, bei der sie mit einer beeindruckenden Hartnäckigkeit und Durchsetzung dranbleiben können.

Dank der Digitalisierung haben wir die Möglichkeit von «delete and repeat». Wenn ich den Vis-Talk anschaue und denke: «Das geht gar nicht!», kann ich ihn innert fünf Minuten nochmals neu machen.

Das Spezielle am Vis-Talk ist der «point of view», wie wir das im Filmbereich nennen: Man sieht dem oder der Vis-Talker:in über die Schulter.

Iuri Rigo

Das Spezielle am Vis-Talk ist der «point of view», wie wir das im Filmbereich nennen: Man sieht dem oder der Vis-Talker:in über die Schulter. Dieses Über-die-Schulter-Schauen ist eine Situation, die Lehrpersonen sonst oft nur schwer herstellen können – hier schafft man es, ohne sich drüber beugen und die Talkerin stören zu müssen.

Vom Alter, von den Stufen her, für wen eignet sich ein Vis-Talk?

Das geht theoretisch ab Kindergarten, denn es geht ums Narrativ. Wir üben eine Erzähltechnik und die Kommunikation mit dem nächsten: Wie können wir etwas erzählen, damit es das Gegenüber auch versteht? Man kann es als Methode von klein auf einsetzen und es kann bis zur Kommunikation von professionellen Forschungsergebnissen dienen.

Zwei Schüler beim Vis-Talk (Bild: Iuri Rigo)

Für Schüler:innen der Sekundarstufe kann es auch eine gute Vorbereitung auf ein Vorstellungsgespräch für ein Praktikum oder eine Lehrstelle sein: Da hast du auch ein Gegenüber, das prinzipiell wohlwollend ist, dir Fragen stellt. Und wie beim Vis-Talk kannst du dich vorbereiten und es hilft, wenn du gelernt hast, dich verständlich und ohne Abschweifungen auszudrücken.

«Dranbleiben lohnt sich!»

Würdest du Vis-Talk nutzen, um Noten zu setzen?

Wie jede Methode muss man sie sorgfältig einführen, das kann auch niederschwellig sein, zum Beispiel erstmal nur im Zwiegespräch ohne Aufnahme oder nur ein ganz kurzer Vis-Talk von dreissig Sekunden. Bis wir Noten setzen, müssen es die Schüler:innen genug geübt haben. Beim Noten setzen besteht natürlich die Gefahr, dass ich die Vis-Talks standardisiere. Man könnte aber auch die Kriterien mit der Klasse festlegen. Und gerade als Abschluss eine grossen Themenblocks kann sich Vis-Talk gut eignen, da sieht man dann, was hängen geblieben ist.

Alternativ kann ein Vis-Talk auch Teil eines Portfolios sein oder genutzt werden, um dieses zu dokumentieren. Wenn man ein Portfolio gemacht hat, erzählt man im Vis-Talk, was man zusammengesammelt hat und wieso. Dann kann man zum Beispiel den Vis-Talk benoten und das Portfolio nicht.

Wenn man ein Portfolio gemacht hat, erzählt man im Vis-Talk, was man zusammengesammelt hat und wieso. Dann kann man den Vis-Talk benoten und das Portfolio nicht.

Iuri Rigo

Was sind die wichtigsten Tipps an Lehrpersonen, die Vis-Talk ausprobieren möchten?

  1. Prüfe zuerst, ob die Technik funktioniert. Bei Schwierigkeiten können die ICT-Betreuungsperson im Schulhaus oder TU Medien weiterhelfen.
  2. Probiere selber einen Vis-Talk aus, bevor du ihn mit der Klasse machst – zum Beispiel mit einer Kollegin oder einem Kollegen.
  3. Übernimm die Idee, aber passe die Technik an: Auch mit Smartphones, Tablets etc. kann man einen Vis-Talk gestalten. Da kann auch die Schulklasse mithelfen.
  4. Nicht sofort aufgeben! Dranbleiben lohnt sich, denn der Vis-Talk ist eine binnendifferenzierende Erzähltechnik, bei der die Medientechnik ermöglicht, dem oder der Talker:in über die Schulter zu schauen.

Weiterbildungen zum Vis-Talk

Vis-Talks: Einfache Technik – gute Didaktik im Schulzimmer

In diesem Kurs üben Sie die Herstellung und Anleitung von Vis-Talks, erproben dabei die Möglichkeiten des binnendifferenzierenden Einsatzes für den eigenen Unterricht und können Vis-Talks zur Evaluation von Kompetenzzuwachs nutzen. (Anmeldung ab Oktober 2022 unter www.kurse-pz.bs.ch).

  • Sa, 27.05.2023, 10.00-12.00 Uhr
  • Mi, 31.05.2023, 15.30-17.30 Uhr
  • Mi, 31.05.2023, 18.00-20.00 Uhr
  • Auch individuell als schulinterne Weiterbildung buchbar

Zur Person

Iuri Rigo ist ausgebildeter Sekundarlehrer in den Fächern RZG, Mathematik und Bildnerisches Gestalten. Zudem hat er eine Ausbildung als Filmemacher und Erfahrung als Medientechniker und Theatermacher. Er arbeitet derzeit als technischer Mitarbeiter in der Medien.Werkstatt an der Hochschule für Gestaltung und Kunst. Ihm ist es ein Anliegen, neue Techniken in den Lernprozess miteinzubeziehen, denn sie bieten viele Möglichkeiten zur Binnendifferenzierung.

Iuri Rigo (Bild: Monika Klemm)

Mehr zum Thema

Iuri Rigo hat einen ausführlichen Text zu mit praktischen Tipps, Hintergrundinformationen und Überlegungen zur Bewertung rund um den Vis-Talk verfasst. Interessierte finden ihn hier.

Autor: pz.bs

Das Pädagogische Zentrum PZ.BS unterstützt Lehrpersonen, Schulleitungen und weitere Mitarbeitende der Basler Schulen mit Weiterbildung, Beratung und Medien. Es ist Teil des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

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