Erfahrungen aus dem hybriden Klassenzimmer

Lernende, die von zuhause aus am Unterricht teilnehmen, müssen grosse Eigenverantwortung zeigen.

Während Absenzen von wenigen Schülerinnen und Schülern zum Alltag einer Lehrperson gehören, geschieht es mit den aktuellen Corona-Infektionszahlen immer häufiger, dass Schülerinnen und Schüler von zuhause aus am Unterricht teilnehmen. Nun ist ein Teil der Klasse vor Ort und ein Teil im Fernunterricht. Welche Tipps und Tricks gibt es für den Hybridunterricht? Bryan Stutz, Fachexperte Deutsch am Pädagogischen Zentrum PZ.BS und Lehrer an der Sekundarstufe I, teilt seine Erfahrungen.

Didaktische und methodische Gedanken

Digital vorbereiten
Wenn man als Lehrperson den Unterricht als Fernunterricht mit Blick auf selbstorganisiertes Lernen plant, geht vieles während der Lektion einfacher: digitale Arbeitsblätter, Seiten aus dem Lehrmittel oder Präsentationen können mit den zugeschalteten Schülerinnen und Schülern problemlos geteilt werden. Um die digitale Ordnung aufrecht zu erhalten und die Schnelligkeit beim Verteilen der Online-Materialien zu erhöhen, empfiehlt es sich für jede Stunde im Voraus einen Ordner zu erstellen und die für die Lektion benötigten digitalen Materialien darin abzulegen.

Kleinschrittig denken und planen
Beim hybriden Unterricht läuft vieles parallel: Präsenzunterricht, Technik, Materialvergabe, Beteiligungen, Störungen, Fragen. Um alle Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden, sollte bei der Unterrichtsvorbereitung so viel wie möglich antizipiert werden. Ein kleinschrittiges, zweidimensionales Planen ist von grossem Nutzen: Können die Settings online und in Präsenz durchgeführt werden? Jede Aktivität sollte bezüglich der Umsetzung genauestens durchdacht sein: Welche Tools brauche ich? Wer arbeitet mit wem zusammen? Welche technischen Einstellungen sind nötig? Ist die Schriftgrösse lesbar? Sind Hilfestellungen vorhanden?

Klare Zeitangaben und Abgabetermine setzen
Es lohnt sich fixe Zeitangaben zu setzen und diese in einer Chatnachricht oder einem Lektionen- bzw. Tagesplan festzuhalten. Input-, Arbeits- (einzeln oder in Gruppen) und Sammelsequenzen sind so klar ersichtlich. Feste Zeitangaben, Abgabetermine sowie der gezielte Einsatz von offenen und geführten Sequenzen helfen besonders den zugeschalteten Schülerinnen und Schülern, den Auftrag speditiv anzugehen und sich von Störfaktoren zu distanzieren.
Für zügig arbeitende Schülerinnen und Schüler kann man Zusatzübungen bereitstellen oder sie – je nach Fach– über Datenbanken wie mindsteps arbeiten lassen. Diese Website eignet sich auch, um rasch grobe Aussagen über den Lernstand machen zu können.

Gemeinsam starten, gemeinsam abschliessen
Es lohnt sich, die Lektion so zu planen, dass sie gemeinsam eröffnet und abgeschlossen werden kann. Dies verleiht dem hybriden Unterricht eine Verbindlichkeit. Gute und relativ schnell erstellte Einstiegsübungen, an denen alle gleichzeitig arbeiten können, lassen sich zum Beispiel mit der Seite learningapps.org erstellen. Diese Quizze werden von den Lernenden in der Regel gerne gelöst. Zum Abschluss der Lektion bietet sich eine Reflexionssequenz an. Mittels digitaler Post-its und der Whiteboard-App halten alle ihre Erfolge und Schwierigkeiten fest, sei es in Bezug auf die Lernziele oder den hybriden Unterricht. In einer nächsten Sequenz kann dieses Whiteboard dann als Einstieg genutzt werden. Um den Einbezug der zugeschalteten Schülerinnen und Schüler nicht aus den Augen zu verlieren, bieten sich auch Umfragetools wie Mentimeter oder Surveymonkey an. Teams bietet mit Reflect eine Emoji-basierte Gefühlsrückmeldung an.
Im Rahmen der Rhythmisierung soll auch an die Bewegung gedacht werden: Bewegteschule.ch bietet eine grosse Sammlung an aktivierenden und beruhigenden Bewegungsübungen sowie Vorschläge für bewegtes Lernen.

Die Interessen der Lernenden berücksichtigen
Dass die zugeschalteten Schülerinnen und Schüler den ganzen Tag zuhause über das Fernlerntool teilnehmen und gleich wie jene vor Ort beschult werden, ist mit Blick auf die Stundentafel meist eine nicht zu bewältigende Aufgabe. Die kognitiven Ressourcen reichen dazu nicht aus. Es lohnt sich also, sich im Kollegium abzusprechen und zu eruieren, in welchen Fachbereichen beispielsweise eine Projektarbeit geleistet werden kann. Diese tritt an Stelle der aktiven Teilnahme am Präsenzunterricht von zuhause aus. Die Lehrpersonen begleiten sie mit kurzen regelmässigen Zwischengesprächen. Ausserdem sollten die Aufträge und Anleitungen klar, aber dennoch offen formuliert sein. In solchen Settings können sich die Schülerinnen und Schüler entfalten, ihr Lernen selbst organisieren sowie die Zeit entsprechend einteilen. Die Ideen sind vielfältig: Podcasts, Hörspiele, Lernjournale führen, Präsentationen besprechen und in einer «Klassenmediathek» zusammenstellen …

Unterrichtsdurchführung

Kontrolle abgeben, Vertrauen aufbauen
Lernende, die von zuhause aus am Unterricht teilnehmen, müssen grosse Eigenverantwortung zeigen: «Soll ich bei meinen Kolleginnen und Kollegen nach der Lösung fragen? Kann ich auf die Chatnachricht antworten, ohne dass ich den Faden verliere? Merkt es jemand, wenn ich mich kurz auslogge?»
Eine positive Grundhaltung und ein Vertrauen in die Lernenden ist hier wichtig, zumal sich weder im Präsenzunterricht noch in digitalen Unterrichtsformaten Vermeidungsstrategien und Störfaktoren vollends verhindern lassen. Es kann helfen, wenn wir die Erfolge und Fortschritte der Lernenden in den Blick nehmen und diese entsprechend loben und wertschätzen. Die Schülerinnen und Schüler im Fernunterricht sollen die Möglichkeit haben, ihre Lehrperson per Chat zu erreichen um Fragen zu stellen.

Verbindlichkeit schaffen
Die aufgetragenen Arbeiten sollten auch bei den Zugeschalteten abgeholt und eingefordert werden. Dies schafft zusätzlich Verbindlichkeit und bietet eine ideale Gelegenheit für ein Feedback seitens der Lehrperson. Man ist oft erstaunt, wie gewissenhaft die Schülerinnen und Schüler gearbeitet haben und mit welch technischen Raffinessen sie ihr Produkt perfektionieren!
In diesem Zusammenhang sei gesagt, dass es für Lehrpersonen anspruchsvoll ist, den Lernstand der zugeschalteten Schülerinnen und Schüler beim hybriden Unterricht einzuschätzen. Zudem ist es für die Zugeschalteten schwieriger, sich aktiv zu melden und sich rasch bemerkbar zu machen, wenn sie sich äussern wollen. Deshalb lohnt es sich, genau diese Problematik mit ihnen anzusprechen und aufzuzeigen, dass man sie in den Unterricht einbindet.

Visualisieren und Darstellen
Visualisierungen können über das Whiteboard des Fernunterricht-Tools gemacht werden. Dies ist zwar anfänglich etwas umständlich, jedoch bietet es eine optimale Sicht auf das Dargestellte, und zwar für alle. Dasselbe gilt für Arbeitsblätter, welche man normalerweise vielleicht unter dem Visualizer mit den Lernenden bespricht: Scannt man das Blatt ein und bearbeitet man es digital, kann es für die zugeschalteten aber auch für die Schülerinnen und Schüler vor Ort optimal visualisiert werden. Ausserdem bietet es sich beim hybriden Unterricht an, den Bildschirm zu teilen, um so mit digitalen Inhalten und Medien zu arbeiten.

Regeln vereinbaren
Man vereinbart mit den Schülerinnen und Schülern einen Kommunikationsweg, sodass alle nur eine Plattform bearbeiten müssen und nicht mehrere – das entlastet! Fragen und Beiträge können während der Lektion über das Handzeichen gemeldet oder über den Chat verfasst werden. Schülerinnen und Schüler helfen erfahrungsgemäss gerne dabei den Chat zu beobachten.
Die zugeschalteten Schülerinnen und Schüler sollten ihre Kamera einschalten, wenn man gemeinsam als Klasse arbeitet, denn Kommunikation geschieht nicht nur verbal, sondern auch visuell. Dabei können die Schülerinnen und Schüler darauf hingewiesen werden, einen virtuellen Hintergrund zu verwenden, um die heimische Privatsphäre zu schützen. Ferner gilt es zu vermeiden, dass die zugeschalteten Schülerinnen und Schüler plötzlich im Grossformat auf der Leinwand beziehungsweise dem Monitor in der Schule zu sehen sind. Das sorgt für Unruhe.

Die Zugeschalteten nicht vergessen
Eine besondere Herausforderung besteht darin, möglichst immer alle Beteiligten im Blick zu behalten: Man führt mit der Klasse ein interessantes und gewinnbringendes Gespräch und muss dabei an die Zugeschalteten denken, um diese ebenfalls zu integrieren und ihnen eine Teilhabe zu ermöglichen. Ein Erinnerungssymbol bei sich auf dem Pult kann hier helfen.

Verständnis zeigen
Einige Schülerinnen und Schüler haben gute digitale Kompetenzen. Einige dagegen sind schon beim Versenden einer Mail überfordert. Eine hilfsbereite Klassenatmosphäre und präzise sowie gut formulierte Anleitungen können helfen. Nicht zuletzt hilft auch Verständnis der Lehrperson und die Bereitschaft mit allen Lernenden die für die Aufgaben benötigten digitalen Kompetenzen aufzubauen. Mit genau diesem Verständnis seitens der Schülerschaft kann man dann als Lehrperson auch rechnen, wenn mal eine Übung technisch doch nicht so realisierbar ist, wie man sie geplant hat!

Technische Hinweise für die Arbeit mit der ganzen Klasse

Damit eine bestmögliche Tonqualität für die zugeschalteten Schülerinnen und Schüler sichergestellt werden kann, platziert man das Gerät in der Nähe des/der Sprechenden. Es lohnt sich hier aktiv per Chat bei den Zugeschalteten nachzufragen, ob Ton und Bild in Ordnung sind. Somit kann bei Problemen unmittelbar interveniert werden. Ebenso sollten die Plenumsaktivitäten nicht vergessen werden: eine gute Positionierung des Gerätes im Raum und ein (je nach dem sehr) lautes Sprechen der Klassenkamerad/innen hilft hier weiter. Die ganze Klasse kann sich jedoch auch per Chat äussern, damit die Kommunikation sichergestellt werden kann.

Die Kamera wird in der Regel auf die Lehrperson oder jene Schülerinnen und Schüler ausgerichtet, die längere Zeit sprechen. Selbstverständlich gilt es vorher abzuklären, ob dies für die Schülerinnen und Schüler so stimmt.

Eine Teams-Besprechung braucht viel Strom. Als Folge dessen sollte man das Gerät an eine Stromquelle anschliessen, um dies nicht während des Unterrichts tun zu müssen oder gar die zugeschalteten Schülerinnen und Schüler wegen eines leeren Akkus zu «verlieren».

Leitfragen für den eigenen Hybridunterricht

Folgende Leitfragen können bei der Planung von Hybridunterricht unterstützen:

  • Ist mein fachliches Lernziel für alle klar?
  • Sind meine Aufträge klar und verschriftlicht?
  • Weiss ich über den fachlichen Lernstand meiner Lernenden Bescheid?
  • Wie findet die Lernzielüberprüfung statt?
  • Können sich alle Schülerinnen und Schüler technisch und inhaltlich beteiligen?
  • Ist meine Stunde für alle (besonders auch für die zugeschalteten Schülerinnen und Schüler) gut rhythmisiert?
  • Haben alle die Möglichkeit, sich mit Lernpartner/innen auszutauschen?
  • Schaffe ich es, die Materialien schnell zu verteilen?
  • Ist mein Unterricht verbindlich oder gibt es «Schlupflöcher»?
  • Weiss ich, was meine Lernenden gerade beschäftigt?
  • Zeige ich Verständnis, wenn mal etwas nicht klappt?
  • Biete ich Reflexionsmöglichkeiten für das digitale Arbeiten an?

Ich wünsche viel Spass bei der nächsten Unterrichtsvorbereitung sowie viel Erfolg im Unterricht! Über Rückmeldungen zu euren Erfahrungen würde ich mich freuen!

Zum Autor: Bryan Stutz arbeitet als Fachexperte Deutsch am Pädagogischen Zentrum PZ.BS. Ausserdem unterrichtet er Deutsch und Geschichte auf den Niveaus E und P im Kanton Basel-Landschaft. Er ist im Qualitätsmanagement in der Erwachsenenbildung tätig und beschäftigt sich auch dort mit Hybridunterricht. Ein herzlicher Dank geht an Florian Dünki, Fachexperte Medien und Informatik/NMG am PZ.BS. Er hat diesen Blogbeitrag mit wertvollen Inputs angereichert!

Autor: pz.bs

Das Pädagogische Zentrum PZ.BS unterstützt Lehrpersonen, Schulleitungen und weitere Mitarbeitende der Basler Schulen mit Weiterbildung, Beratung und Medien. Es ist Teil des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

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